Blue Skies (T. C. Boyle)

Wenn man sich gerade im kühlen Salzkammergut mit seinen gemäßigten Temperaturen aufhält, wo die Nächte und der Schatten noch kühl sind, die Wiesen grün, wo das Wasser die Felsen herabrieselt und die Seen fast noch zu kalt zum Schwimmen sind, dann glaubt man sich in einem Paradies auf Erden. Dieses haben längst auch Investoren entdeckt und so entstanden in den letzten Jahren überall High-End-Lodges mit stolzen Preisen pro Übernachtung, die viel Schönheit und Luxus versprechen. Hier scheint die Welt in Ordnung, der Klimawandel macht sich insofern bemerkbar, dass im Sommer sehr oft die Sonne scheint, der Grimming keinen Schnee hat und es nicht mehr wochenlang durchregnet wie in früheren Zeiten.

Ein anderes Bild der Welt malt T. C. Boyle in seinem viel besprochenen Roman „Blue Skies“, einem Klimaroman oder auch „Cli-Fi“ genannt. Hier ist nichts mehr in Ordnung und am Beispiel einer amerikanischen Durchschnittfamilie wird drastisch gezeigt, was der Welt in nicht allzu langer Zeit passieren könnte: Ein Teil der Familie Cullen (Vater Frank, Mutter Ottilie und Sohn Cooper) lebt im heißen Kalifornien, das mehr und mehr austrocknet und von Missernten bedroht ist. Cooper, der als Entomologie in einem Institut arbeitet und das Artensterben im Feld hautnah erlebt, hat in seinem missionarischen Eifer die Mutter davon überzeugt, eine Heuschreckenzucht zu beginnen, um Heuschrecken- und Mehlwürmerrezepte ihren Gästen unterzujubeln. Am Beginn des Romans schwimmt sie jeden Morgen in ihrem Pool, um sich abzukühlen, glücklich darüber, einen Pool zu besitzen. Die Heuschreckenzucht misslingt, auch die Bienen, die der Sohn herbeischafft, liegen eines Morgens tot am Boden, bald sterben aus unerfindlichen Gründen alle Insekten. Das Wasser wird immer knapper, die Körperpflege muss auf einmal in der Woche reduziert werden, die ausbreitenden Waldbrände bedrohen Besitz, Leben und die Nahrungsmittel der Einwohner.

Tochter Cat hingegen lebt mit ihrem Barcadi-Mann Cooper in einem Strandhaus in Florida und möchte Influencerin werden. Um ihre Chancen zu erhöhen, legt sie sich eine Schlange zum Ausgehen und Posieren zu. Diese wird ein Eigenleben entwickeln und viel Unglück über Cat bringen. Vom Sunshine State kann nicht mehr gesprochen werden, denn es regnet die meiste Zeit und das Meer holt sich zurück, was der Mensch ihm abgerungen hat. Überschwemmungen machen das Autofahren unmöglich, Termiten befallen die Pfähle, die Beziehung zwischen Cooper und Cat wird auf die Probe gestellt, denn die Natur schlägt zurück und zeigt sich in ihrer bedrohlichsten Form.

„Blue Skies“ geht unter die Haut, nährt Ängste und will zu einer Verhaltensänderung aufrufen. Aber wie reagieren die Boyl’schen Figuren auf die zunehmende Verheerung ihres Lebensraumes, auf Probleme in Beziehungen?  In diesem Familienkosmos gibt für den einzelnen eine Antwort: Alkohol. Dieser spielt eine gravierende Rolle, um mit Freud und Leid umzugehen. Kein Vormittag vergeht, ohne dass Cat ihre Sinnleere nicht in Alkohol ertränkt, sie ist jung und schön, hat einen feschen Mann und ein nobles Strandhaus. Todd muss jedoch von einer Barcadiparty zur nächsten hetzen und so begnügt sie sich, Fotos mit Will I und später mit Willi II zu posten und sich dabei zu betrinken.

Cooper, der eine Zeckenforscherin als Freundin hat, wird von einer Zecke gebissen und nach einer bakteriellen Infektion kann er nur durch einen chirurgischen Eingriff gerettet werden. Auch er verbringt jetzt lieber die Zeit mit Alkohol als mit Feldforschungen, um seine Dissertation zu schreiben. Ottilie, die sich auf ein umweltverträgliches Leben umgestellt hat, kann nicht mehr ein Pensionierungsfest für ihren Mann ausrichten, weil ständig der Strom zur Kühlung des Essens ausfällt und die vielen Klospülungen den Wasservorrat arg limitieren würden. Alle haben der außer Kontrolle geratenen Natur nichts entgegenzusetzen, sondern können sich nur in ihrer Ohnmacht so gut es geht einrichten, um zu überleben.

Gibt es Hoffnung für diese Menschen? Am Schluss sind Mutter und Sohn in einem Reservat auf der Suche nach….?  Ja, sie entdecken etwas. Ob dieser Schwarm von Schmetterlingen Grund zur Hoffnung ist, wird T. C. Boyle vielleicht in seinem nächsten Roman erzählen.

Apropos: Als ich bei meiner Wanderung durch das Koppental in der Schutzhütte einkehrte, wollte der Wirt, dass ich hinunter zur Traun gehe und mir die „Blaue Lagune“ anschaue. Natürlich griff ich in das Wasser. Es war bacherlwarm, kein Fisch soll laut Wirt mehr dort zu sehen sein.

Genießen wir als versöhnlichen Abschluss Willi Nelsons Version von „Blue Skies“.